Es war kühl und es begann dunkel zu werden. Zu dritt gingen wir die dämmrigen Wege nach Hause. Der Abend war schön gewesen. Wir hatten am See gesessen, unsere Füße ins immer wärmer werdende Wasser gehalten und einfach geplaudert. Ich kannte Karin und Jojo damals seit drei Monaten – so lange wohnte ich auch mit meiner Familie schon an diesem Ort. Es war nur ein kleines Dorf auf dem Land. Die nächste Stadt war mit dem Auto eine Stunde entfernt, doch ich liebte es dort zu leben. Die frische Landluft und das glasklare Wasser, das jetzt im Vollmondschein glitzerte. Ich erinnere mich aber auch an die Worte meines Vaters, der mir schon beim Einzug sagte, ich solle mich nicht zu sehr an die Umgebung gewöhnen, da es ja sein könnte, dass wir bald wieder wegmüssten. Mein Vater arbeitete bei einem großen Konzern, der Windräder errichtete. Hier im Dorf traf das bei den meisten Dorfbewohnern nicht auf Zustimmung, weswegen sich nur einige wenige Mädchen mir verabreden durften.
Ich fand das eigentlich gar nicht so schlimm. Karin und Jojo hatte ich echt gern, aber wenn die beiden dann wieder anfingen, sich darüber aufzuregen, was für eine schlimme Landschaftsveränderung die Windräder mit sich bringen würden, bekamen wir uns doch in die Haare. Auf jeden Fall war heute Abend dieses Thema noch nicht zur Sprache gekommen und wir schlenderten den kleinen Kiesweg hoch zu unserem Haus. Als wir dort ankamen, sahen wir einen großen Wagen vor unserer Tür parken. Ich rannte sofort rein, um zu gucken wer das denn war. Doch als ich durch die Tür kam, versperrte mir ein Haufen Koffer den Weg. Ich hörte meinen Vater die Treppe runterkommen. „Was ist denn hier los?“ fragte ich ganz verwundert. Mein Vater sah mich mitleidig an. „Ich wollte es dir eigentlich schon früher sagen, aber wir ziehen weg. Wir bauen hier keine Windräder.“ Ungläubig sah ich meinen Vater an. „Deine Sachen sind schon gepackt“, sagte er noch, dann verschwand er in der Abstellkammer. Überwältigt von Gefühlen drehte ich mich zu meinen beiden Freundinnen um. Plötzlich schossen mir die Tränen in die Augen und ich rannte los. Das Gelb von den Rapsfeldern sah ich durch meine Tränen nur verschwommen an mir vorbeiziehen. Ich rannte weiter und weiter, bis ich, ohne es zu bemerken an den Fluss kam. Aufgelöst und außer Atem blieb ich auf der Brücke stehen. Von hier konnte ich alles überblicken. Den riesigen Müllerteich, den Wald am anderen Ufer, den Steg an dem Jojo, Karin und ich schwimmen gegangen waren und das kleine Fischerhäuschen, wo wir nach dem Schwimmen immer gesessen und uns eine selbstgemachte Zitronenlimonade bestellt hatten. Immer näher hörte ich die Schritte meiner beiden Freundinnen kommen. Wir wechselten kein Wort. Sie stellten sich nur neben mich, und schauten mit mir in die Ferne. Für mich hatte die Brücke etwas Symbolisches. Auf dieser Seite war der bekannte Müllerteich, damals mein ganzes Leben, auf der anderen Seite sah ich den immer reißender werdenden Bach, der bis in die Ferne, ins Ungewisse führte. Mein neues Leben! Ich sah noch einmal zurück auf den Müllersee, doch ich hatte gelernt loszulassen. Mit einem heftigen Ruck drehte ich mich um und blickte auf meinen Weg in die unbekannte Ferne.
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