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Die Befreiung - von Ina Kemme

Writer's picture: Brigitte LeeserBrigitte Leeser

Ich stehe auf einer Brücke und blicke auf den tiefblauen Ozean. Eine leichte Brise streicht mir meine blonden Haare aus dem Gesicht. Es riecht nach Fisch und die Luft schmeckt salzig. Mein weißes Kleid wiegt sich im Gleichtakt mit den Wellen hin und her. Plötzlich bewegt sich etwas vor mir, ein kleiner goldschimmernder Fisch schwimmt im Wasser. Du bist bestimmt sehr einzigartig unter deinen Fisch-Freunden und sehr beliebt, denke ich, ich wünschte, ich wäre du. Hör auf so komisch zu sein, redet mir mein Gewissen ein, du willst doch Freunde haben, oder nicht? Aber ich kann nicht. Ich kann nicht länger ein Mensch sein, der ich nicht bin, kann mich nicht mehr verstellen und auch keine Klamotten tragen, die mir nicht gefallen. Aber ich muss. Sonst stehe ich wieder alleine da, in meiner Ecke, und falle langsam, aber sicher, in ein niemals endendes Loch, mit meinen Gedanken, Ängsten und Sorgen, die ich keinem erzählen kann. Ich werde als die Komische, Ekelhafte und Stille abgestempelt. Aber nur, weil keiner weiß, was ich habe, wieso ich so bin, weil mich niemals jemand gefragt hat und es niemals jemand tun wird. Ich fühle mich wertlos und unwichtig, und wünsche mir nichts anderes als Freunde. Wenn du noch nie so etwas erlebt hast, versuche dich hinein zu versetzen, denn dieses Gefühl ist schrecklicher als alles andere auf der Welt. Bitte tue etwas dagegen, frage die Person, die keiner mag, einfach nach seiner Geschichte, denn jeder hat das Recht angehört zu werden und zu reden, vielleicht kann so einiges aus der Welt geschaffen werden. Bei mir war das leider nie der Fall. Jetzt stehe ich hier and der Brücke neben meinen „Freundinnen“ und fühle mich ausgenutzt und in ein Kostüm gesteckt. Die beiden Mädchen neben mir interessieren sich nur für sich selbst. Sie wissen ganz genau, wie ich mich fühle und dass ich mir nur Freunde wünsche. Noch vor ein paar Tagen schrien sie mich an und ärgerten mich. Ich merke auch, dass sie noch immer hinter meinem Rücken fies über mich reden. Ich drehe mich von den beiden weg. Mein Kopf sagt nur noch eines: weg hier! Ganz in Gedanken verloren lasse ich meinen Hut fallen. Ich hebe ihn nicht mehr auf, sondern laufe nur noch davon. Ich weiß, dass es keine Lösung ist, von seinen Problemen wegzulaufen, aber ich kann nicht anders. Ich laufe und laufe, immer weiter, erst hinter einem Haus bleibe ich stehen. Dort steht ein Mädchen in meinem Alter, sie fragt mich nach meinem Namen. Heute, ein Jahr später, sind wir beste Freundinnen geworden. Und auch wenn ihr es vielleicht nicht glauben wollt: es gibt immer eine Person, die euch so liebt, wie ihr seid. Das Schicksal wartet nur noch auf die passende Situation, um sie euch vorzustellen.



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