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Unter Piraten – von Paul-Johann Meyer

Writer: Brigitte LeeserBrigitte Leeser


Ihr werdet es nicht glauben, doch letzten Sonntag ist mir etwas Unglaubliches passiert! Ich wachte auf und sah vor meinem Bett ein kleines Paket. Es war so leicht, als wäre nichts darin. Doch als ich es öffnete, war darin ein sehr leichter Mantel. Ich nahm ihn hoch, noch etwas verschlafen, und fand auch noch einen Brief, den ich ebenfalls öffnete. Dort stand, dass der Mantel mich für einen Tag und eine Nacht vor allen, außer vor freundlichen Tieren und Menschen, UNSICHTBAR machte! Hm. Und da stand auch noch, dass der Mantel mich im Gedankenflug in andere Zeiten und an andere Orte bringen konnte. Na ja, hörte sich nicht schlecht an! Ich könnte auf ein Piratenschiff… Nee, doch nicht… Zisch-!!! HILFE, was war das denn??? Wo war ich? So ein Mist! War ich etwa schon da?? Ich wusste gar nichts mehr. Ich befand mich in einem Raum und sah nichts. Fast nichts, denn in einer Ecke zeichneten sich die Umrisse von Kisten und daneben die von schnarchenden Hängematten ab, aus denen der Geruch von Rum zu mir hinüberwehte. Und ich konnte noch etwas vernehmen: Einen Geruch wie in Hühnerställen, ein leises Plätschern und ein leichtes Schaukeln. Jetzt war klar, dass ich mich auf einem Piratenschiff befand. Meine Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit, und ich konnte die stinkenden, furchterregenden Gestalten in den Hängematten ausmachen. Eine war aufgewacht, doch ich fand so schnell kein Versteck. Panik stieg in mir auf. Ich wollte mich langsam davonschleichen, doch die Gestalt, ganz klar ein Pirat, richtete sich schon auf. Oh nein! Ich hatte keine Ahnung, was er machen würde, wenn er mich entdeckte. Mir blieb nur noch eins: Versteinern. Doch der Pirat glotzte einfach durch mich hindurch, als wäre ich Luft. Ein Schauer lief mir den Rücken herunter. Dann fiel mir jedoch wieder ein, was in dem Brief stand. Nur freundliche Lebewesen konnten mich sehen! Das war es also! Deswegen konnte mich der Pirat auch nicht sehen! Aber da war noch jemand, der sich die Augen rieb. Der andere Pirat war inzwischen wieder eingenickt. Ich war froh, dass die Piraten mich nicht sehen konnten! Doch da erschrak ich: Vor mir stand kein Pirat, sondern ein Junge, etwa einen Kopf größer als ich, und musterte mich von oben bis unten. Er war nicht, wie ich es erwartet hatte, wie ein Pirat gekleidet, sondern wie ein einfacher Schiffsjunge.

Ich starrte ihn an, doch er redete schon drauflos: „Woher kommst du? Bist du auch geklaut und Schiffsjunge geworden? Ich bin hier nämlich so etwas wie ein Sklave und möchte abhauen…“ Er verstummte und ich ergriff das Wort. Als ich alles erzählt hatte, fragte ich nach seinem Namen. „Storm“, sagte der Junge mit offenem Mund. Als wir nach einer Weile zu dem Entschluss kamen, dass ich nach Hause und Storm von diesem Schiff musste, stand ein Pirat ächzend auf und fragte mit einem hämischen Lachen, ob Storm jetzt etwa schon Selbstgespräche führe. Doch zum Glück fragte der furchterregende Pirat ihn nicht weiter aus, sondern stolperte an Deck, wo gerade gebrüllt wurde, dass ein schlimmer Sturm im Anmarsch sei. Plötzlich kam Leben ins Schiff. Die Piraten sprangen aus ihren Hängematten und stürmten alle die kleine, morsche Treppe hinauf, sodass die unterste Stufe ächzend unter den schweren Schritten der Piraten nachgab. Der älteste und magerste Pirat stolperte und verlor das Gleichgewicht, was dazu führte, dass er rücklings auf seine alten Knochen fiel. Der Alte brüllte Storm zu, dass dieser gefälligst mithelfen solle. Dann verschwanden sie an Deck. Den ganzen Tag lang bekam ich Storm nicht mehr zu Gesicht, da er alle Hände voll zu tun haben schien. Ich sah mich währenddessen ein bisschen um, da die Piraten mich ja nicht sehen konnten. Ich fand zwischen altem Schiffszwieback noch andere Kisten und auch die Hühnerkäfige. Als ich weitergehen wollte, erschrak ich: Hinter mir ertönte ein leises „Hallo!“. Verwirrt fuhr ich herum. Da wimmerte es aus den Hühnerkäfigen: „Hey, bitte hole uns hier heraus und nimm uns mit deinem Mantel mit, sonst werden wir hier gegessen!“ Ich flüsterte verdattert „Okay, okay… ich muss mit Storm reden“ und ging zurück zu Storms Hängematte, um dort auf ihn zu warten.

Nach einem langen Tag unter dem stickigen, muffigen Deck, wurde es langsam Abend und Storm kam die wackelige, morsche Treppe von oben herunter. Als die Piraten johlend und betrunken eingeschlafen waren, erzählte ich dem erschöpften Storm was passiert war: „Also, ich habe mit den Hühnern in den Käfigen gesprochen! Das war echt komisch, sich mit Tieren richtig zu unterhalten, sag ich dir! Sie haben mich gefragt, ob ich sie freilassen kann und mit Hilfe des Mantels mit zu mir nach Hause nehmen kann.“ Storm meinte, dass ich sie dann doch mitnehmen solle, aber mehr brachte er nicht heraus, er war einfach zu erstaunt, dass ich mit den Tieren tatsächlich reden konnte. Doch ich unterbrach diese merkwürdige Stille. Meine Stimme überschlug sich fast, als ich flüsterte: „Du Storm, gleich wird die Wirkung des Mantels nachlassen und ich werde im Gedankenflug zurückfliegen! Es ist ja schon fast morgens!“ Entsetzt starrte Strom mich an und ich verstand. Blitzschnell ließen wir die Hühner frei und ich zog sie mit unter den Mantel. „Tschüss Storm!“, schrie ich, „In kurzer Zeit werde ich wieder zu Hause sein.“ Storm wusste nicht, wie ihm geschah und beschmiss die Piraten, die völlig verdattert hochschreckten, mit Kisten. Storm rannte zum Mantel und dann machte es wieder Zisch, und wir waren weg. Zuhause rief ich: “Das ist ja unglaublich, dass wir alle mit dem Mantel reisen konnten! Der Mantel zerfiel in alle Fasern und löste sich komplett auf – doch es machte uns nichts aus. Und Storm stand wieder einmal vor Erstaunen der Mund offen…



 
 
 

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1 Comment


tatja
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eine schöne Geschichte mir gefällt besonders das Storm und der Erzähler auch die Tiere befreien.

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